Freie Schule aus Sicht der Eltern: Ein Monat Freie Schule – wie läuft es so?

Die Ferien haben begonnen.  Mein Sohn geht nun seit über einem Monat in die Freie Schule. Eigentlich habe ich keine Ahnung was mein Kind dort den ganzen Tag so macht. Ich bekomme ja keine Schulnoten von Prüfungen mit nach Hause zum Unterschreiben oder sehe auch nicht anhand der Hausaufgaben, mit welchen Themen er sich beschäftigt. Ich weiss lediglich, was mein Sohn mir erzählt und was ich beim Abholen aus der Schule sehe oder sonst aufschnappe.

Die Freie Schule ermöglichte einen leichten Schulstart

Wir erlebten den Schulstart in der Freien Schule als leicht. Von Eltern, deren Kinder in der Staatsschule gestartet sind, hörte ich oft, dass der Schulstart „happig“ verlaufen sei. Es sei „streng“ für die Kinder. Sie seien nach der Schule müde und man wolle oder könne nicht zu viel machen, weil die Kinder „Ruhe brauchen“.

Die Hausaufgaben hätten bereits zu Stress geführt, weil die Eltern das Kind dazu ermahnen müssten und einige Kinder erhielten in der Schule sogar negatives Feedback, weil sie zum Beispiel etwas mit der „falschen Farbe“ angemalt hätten.

Wenn mein Sohn in der Freien Schule malt, gibt es keine „falsche Farbe“, sondern jede Farbe die er wählt ist richtig. Er freut sich auf die Schule und möchte oft noch länger dort bleiben, weil er noch „fertig spielen muss“. Er kommt ausgeglichen nach Hause. Seine Tage verbringt er in der Schule mehrheitlich draussen, was seinem Bewegungsbedürfnis zugute kommt. Der späte Schulbeginn um 09.00 Uhr sorgt zudem dafür, dass er nicht wie viele andere Erstklässler übermüdet ist.

Negatives aus Sicht meines Sohnes:

Ein Junge aus der Schule nerve und das Essen (ist ja eine Tagesschule) findet er nicht so toll. Der Weg um in den Wald zu gelangen sei viel zu lang und er findet es schade, dass er nicht gemeinsam mit den älteren Kindern aus der Mittelstufe im Wald sein kann. Das wurde wohl auf Wunsch der Mittelstufe in der Schulversammlung entschieden.

Negatives aus Sicht von uns Eltern:

  • Ständig fehlt irgendeine Jacke oder ein Sonnenhut! (Liegt irgendwo in der Schule…)
  • Unser Sohn kennt die Namen der anderen Kinder noch nicht alle. Er spielt einfach mit einem Kind, der Name ist dabei oft nicht wichtig. (Es gibt natürlich keine expliziten Kennenlern-Spiele so wie sie im Kindergarten gespielt wurden. Es ist eben frei… ) Wir können uns dann kein richtiges Bild vom Erzählten machen. Im Kindergarten im Dorf wussten wir immer wer nun wer ist und kannten oft auch die Eltern persönlich. Vermutlich wird sich dies mit der Zeit auch hier entwickeln. Es ist aber viel breiter verteilt, da die Kinder aus verschiedenen Dörfern kommen.
  • Informationen müssen wir uns aktiver holen als wir es uns vom Kindergarten gewohnt waren. Ich habe deshalb mit der Bezugsperson von meinem Sohn einen Gesprächstermin vereinbart, um Fragen zu klären und zu erfahren, wie die Schule den Schulstart erlebt hat und wie sich mein Sohn in der Gruppe integriert.

Viel Positives. Wir freuen uns über die Freie Schule

Neben all den Vorteilen die eine freie demokratische Schule sowieso schon mit sich bringt, freuen wir uns über:

  • Unsere Fahrgemeinschaft mit drei, sich beteiligenden Familien, klappt super.
  • Wir haben tatsächlich noch Geld um Lebensmittel zu kaufen, trotz der hohen Schulkosten 🙂
  • Es macht Freude zu sehen, dass es meinem Sohn in der Schule gut geht. Die Entscheidung fühlt sich richtig an.

Die Freie Schule als anregende Inspirationsquelle

Oft kommt mein Sohn aus der Schule nach Hause und will direkt mit etwas weitermachen, dass er dort angefangen hat. Einige Zeit waren es die Spielzeugwaffen welche er aus der Schule mit nach Hause brachte. (Mehr dazu hier.) Er stellte die Waffen stolz vor und spielte mit ihnen. Aktuell sind es gerade die Kapla-Hölzer.

In der Schule bauen wohl verschiedene Kinder ganz tolle Objekte aus Kaplas, was meinen Sohn dazu inspirierte, sich ebenfalls damit zu beschäftigen. Als ich ihn letztens in der Schule abholte, war er damit beschäftigt einen Dinosaurier-Stall aufzubauen. Er konnte nicht aufhören, bis der Stall vollendet war.

Freie Schule Bauwerk aus Kapla
Kapla-Bauwerk aus der freien demokratischen Schule

Zu Hause angekommen ging es sogleich weiter und er baute mit seinem Bruder den ganzen Abend und den nächsten Morgen eine riesige Kapla-Landschaft auf, obwohl diese Hölzchen vorher jahrelang ungenutzt in einem Korb verweilten.

Er fährt in der Schule täglich Fahrrad und wünscht sich nun zum Geburtstag ein Skateboard und ein Trottinett um „Jumps“ zu üben, wie er es bei den grösseren Kindern, durch die freie Schule immer wieder beobachten kann.

Und die klassischen Schulfächer wie Mathematik und Deutsch?

Sicherlich lernt mein Sohn nicht bewusst Deutsch oder macht Mathematikaufgaben. Dazu bleibt gar keine Zeit! Mit den anderen Kindern zu spielen macht viel mehr Spass! Trotzdem bemerke ich, dass er sich aktuell für Zahlen interessiert. Fragen wie: „Mama, wieviele Sekunden hat eine Minute?“ oder „Wieviele Rappen hat ein Franken?“ höre ich täglich. Er rechnet auch zusammen, wieviel Geld er im Portemonnaie hat.

Er schreibt Listen oder Briefe, jedoch nur wenn er gerade Lust hat. Dies ist  vor allem dann der Fall, wenn er wütend auf jemanden ist.

Freie Schule. Kind beginnt zu schreiben
Schön, wenn das Kind anfängt zu schreiben!

Ich bin also unbesorgt, dass mein Kind niemals Rechnen oder Lesen lernen wird. Obwohl ich, zugegebenermaßen , ganz kurz verunsichert war, als ich erfuhr, dass eine Erstklässlerin in der Staatsschule bereits schreiben gelernt habe – mit einem „Gesichter-Modell“. Weil ich noch nie etwas davon gehört hatte, überlegte ich mir, ob das nun ein Nachteil für meine Kinder ist, wenn sie das Gesichter-Modell nicht lernen. (Für diejenigen unter euch die es ebenfalls nicht kennen: Man sieht ein Bild von einer Person, welche mit dem Mund einen Buchstaben formt.)

Doch schlussendlich ist es doch völlig egal, auf welchem Weg ein Mensch Schreiben und Lesen lernt, solange er es am Ende der Schulzeit kann. Ich bin gespannt und freue mich zu sehen, wie meine Kinder sich diese Fähigkeiten auf ihre ganz eigene Art und Weise beibringen werden.

Wir haben alle Zeit der Welt!

Autorinnenbeschreibung:

Freie Schule Bild der Autorin Svea Frei

Ich bin Svea. Mein ältester Sohn besucht seit Sommer 2018 die erste Klasse einer freien demokratischen Schule in der Schweiz. Welche Höhen und Tiefen durchleben wir mit unseren drei Kindern in einem Schulsystem, dass heute leider noch nicht Standard ist? Wie empfinden wir den Schulalltag der freien demokratischen Schule? In regelmäßigen Abständen lasse ich euch auf dem Schools of Trust Blog an unserem Familienalltag teilhaben.

Neben meinem aktuellen Job als Vollzeit-Mum von zwei Söhnen und einer Tochter, bin ich diplomierte Pflegefachfrau HF in Fachrichtung Psychiatrie, systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin sowie Bloggerin auf dreimalfrei.ch. Ich blogge über bedürfnisorientiertes Familienleben, Freie Schule und das Freilernen. Ehrlich, selbstkritisch und manchmal sarkastisch… aber auch mit Herz, Humor und einer guten Portion Tiefgang.

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